DER MOMENT, ALS ES „PLING“ MACHTE
Irgendwann in 2016 lasen wir einen Artikel, der sich ausführlich mit dem 3D-Druck für die Textil- und Bekleidungsindustrie befasste. Er klang fundiert und plausibel. Die Kernaussage:
„In nicht zu ferner Zukunft wird es für jede*n erschwinglich sein, sich passgenaue Kleidung nach den persönlichen Vorlieben drucken zu lassen. Diese würden dann direkt z.B. in der Filiale meiner Marke in meiner Stadt hergestellt, dort vielleicht noch etwas weiterverarbeitet und stünde dann zur Abholung bereit.“
Das setzte in unseren Köpfen folgende Gedanken- bzw. Fragenkette in Gang:
- Was ist mit den Näherinnen und Nähern, die aktuell noch in den Fabriken Bangladeschs und andernorts unsere Kleidung herstellen? Denn einerseits sind ihre Arbeitsbedingungen oft miserabel und teilweise lebensgefährlich. Aber ihr Job ernährt eben auch ihre Familien und ist für viele Frauen oft die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, ohne sich prostituieren zu müssen. Was wird aus ihnen?
- Und was wird aus dem kompletten System von Zwischen- und Einzelhandel?
- Wie wirkt sich das auf dem Schiffs- und LKW-Verkehr und die Emissionen aus?
- Wie auf unseren Arbeitsmarkt, wenn die Lieferketten sich derart verändern und die Filialen der Modeketten, in denen bisher ebenfalls hauptsächlich Frauen angestellt waren, vielleicht keine Verkäuferinnen, sondern Personen mit anderen Fähigkeiten benötigen?
- Und wer kann uns eigentlich seriös über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser Vision Auskunft geben?
Puzzlestückchen setzen sich zusammen
Gleichzeitig begeisterte uns die Dokumentation „Afrika digital“ und das Konzept von M-Pesa. Das Thema der Millionen Menschen weltweit, die keinen Zugang zum Banken- und Versicherungssystem haben, beschäftigt ja schon lange die Entwicklungsarbeit. M-Pesa, gänzlich aus der Wirtschaft entwickelt, ermöglichte erst den Menschen Kenias, die ohne Konto sind, Geldtransfers via Mobiltelefon durchzuführen. Inzwischen wird das System in diversen anderen Ländern genutzt. Der Unter¬schied, den diese Teilhabe für die Menschen hat, ist enorm. Es muss kein Bargeld mehr geschützt werden und mit diesem einfachen Mobil-Konto tritt man ein in die Welt der Dienstleistungen wie fließend Wasser und Strom.
Darüber hinaus eröffnen Smartphone-Apps viele neue Möglichkeiten im Bereich Katastrophenschutz und in den Bereichen Bildung und Gesundheitsvorsorge. Im konkreten medizinischen Notfall kann ein Arzt per Video-Chat den Erkrankten tatsächlich sehen und besser einschätzen. Ein Bauer erfährt frühzeitig, welcher Markt ihm für seine Ernte das beste Angebot macht, oder eine Geburtshelferin, ob ein Neugeborenes eine intensivmedizinische Behandlung benötigt.
Und dann gibt es eben auch die Instrumente, an denen sich die Geister scheiden.
Wo endet der humanitäre Nutzen und wo beginnt die Kriegsvorbereitung? Und wie positionieren wir uns angesichts eines Vorhabens, das eben beidem dient? Das Auswärtige Amt hat z.B. mit „Preview“ ein KI-basiertes System zur Krisenfrüherkennung entwickelt. Situationen und Umstände, aus denen politische Konflikte und humanitäre Krisen erwachsen können, sollen bereits 6-18 Monate vor der „wirklichen Krise“ erkannt werden können. Damit verbunden ist ein System, dass es dem Deutschen Roten Kreuz ermöglicht, Geld abzurufen und Hilfsmaßnahmen für den Notfall vorzubereiten. Das „Preview“-Projekt wird nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im verantwortlichen Ministerium selbst heftig diskutiert, denn es könnte ja – so die Kritiker – ebenso genutzt werden, um „Flüchtlinge abzuwehren, Interventionen vorzubereiten oder Kriege zu gewinnen“ (Zitat ¹; vgl. Quellen-Angabe).
Erste Erfahrungen mit 3D-Druck
3D-Druck ist vereinfacht ein Druck mit zähflüssiger Masse, die in einer vorprogrammierten Form aus der Druckdüse gepresst und auf einer Oberfläche aufgebracht wird. Ein bisschen wie Spritzgebäck.
Gedruckt werden können simple Würfel, aber auch hochkomplexe, passgenaue Formen. Die Qualitäten liegen zwar besonders darin, Einzelstücke oder kleine Stückzahlen zu produzieren. Doch längst wird geforscht und getüffelt, wie Produkte massenhaft UND individualisiert gedruckt werden können.
Die Art der „Tinte“, das Filament, ist variabel. Es beginnt bei Kunstharz und endet nicht bei organischem Material wie Bakterien, Eiweißen etc. So arbeiten Forscher*innen daran, auf diese Art Lebensmittel wie Fleisch zu „drucken“, ohne dass Tieren Leid angetan wird. Im Hinblick auf Nachhaltigkeit sind besonders solche Projekte spannend, die daran forschen, den Plastikmüll unserer Meere oder schnell wachsende Pflanzen wie Bambus als Filament zu nutzen.
Besonders im medizinischen Bereich steht der 3D-Druck noch am Anfang seiner Entwicklung. Gedruckte Zahn-Implantate, Kniegelenke und Kronen sind schon heute Alltag.
Es gibt etliche Forschungsprojekte, die ethische Fragen aufwerfen und kritisch diskutiert werden müssten.
Eines der Positivbeispiele ist der 3D-Druck für Orthesen und Prothesen. So hat z.B. die Entwicklungsorganisation Handicap International ein Pilotprojekt in Togo durchgeführt, um für Menschen mit Behinderungen mit Hilfe des 3D-Drucks passgenaue Orthesen oder Prothesen herzustellen. Mit einem 3D-Scanner wird z.B. das Bein exakt vermessen und die benötigte Orthese wird direkt in Togo selbst gedruckt. Das geht schnell, spart Kosten, schafft Arbeit für regionale Fachkräfte und ist erstaunlich gut in der Qualität. In der Startphase mussten die Menschen für das Scannen zum Gesundheitszentrum anreisen, in der Ausbauphase sollen durch mobile Scanner die Menschen in ihren Dörfern direkt erreicht werden.
Es gibt Pilotprojekte, die mit 3D-Druck Häuser erschaffen, um Überlebenden nach Naturkatastrophen rasch wieder Schutz zu ermöglichen. Andererseits findet man Pläne für Waffen aus dem 3D-Drucker im Internet. Es wird auch hier deutlich: der Charakter und die Interessen desjenigen, der eine Technik in Händen hält, bestimmt über ihren sinnvollen, friedlichen oder zerstörerischen Einsatz.
Wunderding Blockchain Technologie?
Man könnte die Blockchain-Technologie als Versuch einer Antwort auf die weltweite Finanzkrise vor knapp 10 Jahren verstehen. Sie kombiniert bereits länger bekannte Technologien der Kryptographie und der Spieltheorie mit dem Gedanken, Daten dezentral zu speichern und sie radikal transparent zu machen. Die BC ist bekannt als die Technik, die digitalen Währungen wie Bitcoin zugrunde liegt, aber ihre Einsatzmöglichkeiten gehen weit darüber hinaus. Doch selbst Expert*innen sagen, dass Chancen und Risiken zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös abgeschätzt werden könnten.
Vielversprechende Möglichkeiten und noch so viel zu kritisieren
Es ist leicht, die Blockchain-Technologie zu kritisieren: ihren Energieverbrauch, ihre aktuellen Grenzen der Skalierbarkeit oder dass sie für kriminelle Handlungen genutzt wird. Aber es gibt eben auch vielversprechende Einsatzmöglichkeiten, die uns ermutigen, diese Entwicklungen zu beobachten. Sie könnte unseren Alltag so verändern wie der Einstieg in das WorldWideWeb Anfang der 1990er-Jahre.
Bei der Blockchain Technologie geht es stark vereinfacht darum, dass Daten in einer dezentralen Datenbank gespeichert werden. Theoretisch könnte jeder von uns seinen privaten Computer zur Verfügung stellen, so dass er Teil dieser dezentralen Datenbank wird. Das macht die Blockchain sehr manipulations¬sicher, da weltweit Kopien der Datenbank liegen und so nachträgliche Änderungen an Einträgen nachverfolgen lassen. Wo eine Datenbank benötigt wird, es an Vertrauen mangelt und große Distanzen und/ oder viele Beteiligte ins Spiel kommen, spielt die BC ihre Vorteile aus.
Es gibt inzwischen viele spannende umwelt- und entwicklungspolitische Blockchain-Projekte und jedes wäre es wert, ausführlicher beschrieben zu werden. Aber: Die meisten Projekte haben noch mindestens einen Makel. Denn die Logik der BC baut darauf auf, dass so viele dezentrale Speicherorte, wie möglich, beteiligt sind. Aber viele Projekte grenzen dies ein und nutzen „nur“ verteilte Datenbanken oder könnten ebenso gut ihre bisherige Datenbank öffentlich einsehbar machen. Das und die Art und Weise, wer und wie etwas in diese Datenbank geschrieben wird, trägt bedeutend dazu bei, wie sehr man ihr vertrauen kann. Also hilft auch hier nur: dranbleiben, kritisch sein und hinterfragen.
Blockchain zum Nutze der Sustainable Development-Goals
- Im Bereich der „selbstverwalteten Identität“ könnte sie genutzt werden, um einen virtuellen „Ort“ zu haben, wo Menschen all ihre relevanten Daten von Wert, wie Geburtsurkunden, Ausbildungszeugnisse, Grundbuch-Auszüge, Patente und andere Eigentumsnachweise, medizinische Unterlagen und alles, was die Identität der Person und den Wert von etwas bestätigt, ablegen und Dritten begrenzten Zugriff gewähren. Ein Pilotprojekt läuft auch in Deutschland.
- Toufic „Tey“ Al Rjula, der Gründer des Start-Up-Unternehmens TYKN hat am eigenen Leib erfahren müssen, welche Kaskade an Problemen auf einen einprasselt, wenn man auf einmal ohne Identitätsnachweis dasteht, weil im Krieg die eigene Geburtsurkunde zerstört wurde oder wie es Menschen geht, die auf der Flucht oder an einem Ort ohne funktioniere Verwaltungsinfrastruktur geboren wurde. Man ist unsichtbar, hat keine Rechte und Möglichkeiten. Mit TYKN entwickelt er BC-basierte Lösungen wie das „Project Zero INvisible Children“, um Kindern in Krisengebieten und Flüchtlingscamps zu einer Identität zu verhelfen.
- Im Bereich erneuerbare Energien ermöglicht die BC den Handel von Strom zwischen Privatpersonen, Initiativen oder kleineren Akteure unter Umgehung großer Konzerne. Der Verein Energy4life z.B. testet dies gerade in Simbabwe, einem Land, das derzeit aus Mangel an einer nationalen Währung Schwierigkeiten hat, internationale Hilfe zu erhalten. Der Verein hat ein interessantes Konglomerat an Akteuren aus der mittelständischen Wirtschaft aus Deutschland und Südafrika sowie einer Gesundheitsstation aufgestellt, das eine Solaranlage auf dieser Gesundheitsstation besitzt und unterhält. Der erwirtschaftete Strom wird in der BC angezeigt, die Gesundheitsstation nimmt den Strom ab und zahlt für ihn und Spender*innen können z.B. Wartung oder Ersatzteile finanzieren.
- Im Fundraising könnte die BC das Berichtswesen ergänzen oder revolutionieren, da völlig transparent und ohne Zeitverlust Spenden in der BC dargestellt werden könnten.
- Ebenso könnte die BC in der Projektarbeit im Bereich Reporting oder zum dezentralen Arbeiten verschiedener Organisationen am selben Projekt dienlich sein.
- In der BC können Herkunftsnachweise und Lieferwege, z.B. für Diamanten, Koltan, Kaffee, Kleidung, etc. hinterlegt werden. Auch hier ist Transparenz das Zauberwort – eine große Chance für den fairen Handel.
- In Georgien soll ein von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstütztes Projekt die Grundbücher der Katasterämter in die Blockchain stellen. Die Einträge werden somit öffentlich einsehbar. Das soll das Vertrauen in die junge Regierung nach langen Phasen des Misstrauens stärken.
Und immer wieder Geld
Wer sich mit neuen Technologien befasst, stößt immer wieder auf das Thema Geld. Das betrifft in großem Maße neue Technologien im Bereich Sofort- oder mobiles Bezahlen. Auch hier müssen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit sich über die aktuellen Entwicklungen informieren, denn sie überweisen ja häufig und unterschiedliche hohe Geldbeträge an ihre Projektpartner.
Und wenn man dann noch aus finanziellen Gründen auf mögliches Einsparen von Wechselkurs-Verlusten oder aus finanzpolitischen Gründen das Umgehen großer Bankinstitute wichtig findet, landet man wieder bei der Blockchain…
Neue Akteure in der Eine-Welt-Arbeit
Die Liste von spannenden Projekten im Bereich Umwelt und Entwicklung mit neuen Technologien lässt sich beliebig fortsetzen, interessant ist aber auch, dass man selbst bei oberflächlichen Recherchen schnell auf neue Akteure stößt, die sich im Sinne der SDG engagieren (wollen): Unternehmen, Start-Ups, Privatpersonen, usw. Dabei gibt es solche, die gemeinnützige Organisationen völlig überflüssig finden und solche, die gerne mit einer Organisation zusammenarbeiten würden, aber nicht die richtige finden, weil sie sich in der Eine-Welt-Szene nicht auskennen. Darüber hinaus wächst die Zahl von Nichtregierungsorganisationen aus afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Ländern, die sich zunehmend direkt an Menschen hier wenden, um z.B. ihre Projekte vorzustellen oder Spenden zu sammeln. SocialMedia macht’s möglich. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Entwicklungen?
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