Was denken andere Akteure? Ein Mosaik an Positionen
Es gibt so viel zu tun; wer packt mit an? Manchmal ist es schon hilfreich, zu sehen, wer sich alles mit ähnlichen Themen befasst, um festzustellen, dass man ggf. etwas gemeinsam angehen könnte.
Auf dieser Seite haben vor allem wir, von Cloud und Rüben unsere Ideen und Gedanken zusammengetragen. Doch bis wir zu unseren Meinungen und Standpunkten gelangt sind, haben wir viele Artikel gelesen und Gespräche mit anderen Akteur*innen geführt.
Einige dieser Stimmen wollen wir auch hier zu Wort kommen lassen.
Zugegeben, wir haben etwas kurzfristig mit arg sportlicher Deadline um Beteiligung gebeten. Das hat natürlich Einfluss auf die entsprechenden Rückmeldungen und gerade bei größeren Organisationen fehlte die Zeit für interne Abstimmung. Daher möchten wir betonen: wenn hier Zitate von wichtigen Akteuren der entwicklungspolitischen Arbeit fehlen, dann liegt es an unserem unkonventionellen Vorgehen und nicht daran, dass diese Menschen und/oder Organisationen womöglich nichts zum Thema beitragen könnten.
Wir stellen hier also spontane, oft persönliche Meinungsäußerungen vor, keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Es besteht auch die Möglichkeit, Antworten nachzureichen. Wir freuen uns auf entsprechenden Input!
Wir haben um Positionen zu folgenden Fragen gebeten:
„Wer die globalen Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals = SDG) unter Zuhilfenahme neuer Technologien der Digitalisierung erreichen will oder Akteure dazu befähigen möchte, braucht gute Verbündete, eine sinnvolle Strategie und den Mut, Neuland zu betreten.
Bessere politische und finanzielle Rahmenbedingungen schaden auch nicht.
Wir stellen die Positionen von folgenden Personen vor:
Tilman Santarius
Professor für Sozial-ökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung am Einstein Centre Digital Futures und der Technischen Universität Berlin, Autor, Mitglied im Aufsichtsrat von Greenpeace Deutschland. Initiator von „Bits und Bäume“.
Peter Bednarz
Koordinator Jugend & Eine Welt beim Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen, stv. Vorstand Landesjugendring NRW, Mitglied des Vorstandes im Bundesausschuss politische Bildung (bap).
Franz von Weizsäcker
Head of GIZ Blockchain Lab, Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.
Katharina Spraul
Professorin an der Technischen Universität Kaiserslautern, Leitung des Fachgebiets „Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Sustainability Management“.
Anouk-Letizia Firle
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, nachhaltig.digital –
Die Kompetenzplattform für Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Mittelstand.
Matthias Lanzendörfer
arbeitet in der Stabsstelle Vorstand und Leitungsrunden beim Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR e. V.
Kathrin Wieland
Co-Founder &v CEO von TolaData – der Software für wirkungsorientiertes Monitoring.
Nora Hauptmann
betterplace lab.
Daniel Jüttner
arbeitet bei Brot für die Welt. Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. als Referent für Nachhaltige Entwicklungsziele.
Matthias Daberstiel
Herausgeber Fundraiser-Magazin.
Hendrik Zimmermann
Germanwatch e.V.
Laura Stanischeff und Thomas Schiffelmann
arbeiten als Engagement-Beraterin und Leiter Marketing bei| Handicap International e.V.
1. Wo sehen SIE die größten Chancen, wo die größten Herausforderungen für NPOs?
Tilman Santarius
„Ich bin davon überzeugt, dass Verbände, NGOs, Bewegungen und zivilgesellschaftliche Netzwerke eine tragende Rolle für die nachhaltige Transformation der Gesellschaft spielen und noch aktiver werden können, um die Digitalisierung in eine sozial-ökologische Richtung zu steuern.
Freilich gibt es schon eine rege Zivilgesellschaft rund um digital- und netzpolitische Themen, vor allem seitens der Tech-, netzpolitischen und Hacker-Szene. Sie beschäftigen sich mit Fragen des Datenschutzes, Debatten zur Netzneutralität, Überwachung, Vorratsdatenspeicherung, den Snowden-Enthüllungen, aber auch über Urheberrechte, Open Source und anderes.
Doch viele weitere von der Digitalisierung beeinflusste Zukunftsthemen – insbesondere die Umweltthemen, aber auch Arbeit, Ungleichheit, Geschlechtergerechtigkeit oder internationale Gerechtigkeit – stehen (noch) nicht oben auf ihrer politischen Agenda. Viele NGOs aus der Nachhaltigkeits-Szene betrachten das Thema der Digitalisierung entweder als noch nicht relevant genug, um sich damit zu beschäftigen, oder wenn doch, so als Nischen- oder Querschnittsthema, was eine vertiefte Beschäftigung in Kampagnen- und Projektform erschwert.“
Peter Bednarz
„Es gilt „Digitalisierung“ zu erfassen und inhaltlich zu füllen. Derzeit wird der Begriff von jedermann und zu jederzeit anders gefüllt. Entsprechend kann jede Betätigung in die Begriffswelt eingebunden werden und je nach Standpunkt als faszinierende Erfahrung oder als größtmögliche Sinnlosigkeit definiert werden.
Herausforderung und Chance ist es sich (mal wieder) auf eine gemeinsame Wahrnehmung der Welt zu einigen (das reicht vermutlich schon innerhalb der eigenen kleinen Peergroup oder innerhalb eines Teams). Aus dieser Analyse lassen sich Schritte ableiten, die jedoch nicht zwanghaft oder ausschließlich „Digitale Lösungen“ umfassen müssen.
Anbieten möchte ich den NPOs eine Sichtweise: Digitalisierung ist eine industrielle Revolution, wie zuvor schon die Dampfmaschine oder die Elektrisierung. Einhergehend mit massiven sozialen Auswirkungen und gesellschaftlichen Veränderungen. Wie zuvor auch ist die Digitalisierung ein Trägermedium, ein Werkzeugkasten mit Instrumenten und Möglichkeiten. Lösungen bietet Digitalisierung für sich alleine genommen nicht an. Wir können uns mit der Frage beschäftigen, welche Lösungen wir in Zukunft sehen bzw. erleben wollen.“
Anouk-Letizia Firle
„Chancen: Verbündete finden auf Verbands-/Institutionsebene
Herausforderungen: Fremdbestimmung durch vorgefertigte Ziele und Lösungsansätze“
Matthias Lanzendörfer
„Chancen: Digitalisierung als Demokratisierungshilfe, Transformationstreiber.
Herausforderungen: Digitalisierung als potenzielle Gefahr für Überwachung, Ausspähung, Shrinking Space der Zivilgesellschaft.“
Kathrin Wieland
„Digitalisierung ermöglicht es NPOs, ihre Arbeit noch effektiver, aber auch kostengünstiger und transparenter zu verrichten. Herausforderungen sehen wir bei den Themen technische Kompetenz und der Notwendigkeit, alle Maßnahmen mit Change-Management und Organisationsentwicklung zu begleiten.“
Nora Hauptmann
„Hürden wie mangelnde Ressourcen und Skills scheinen überwindbar gegenüber den geradezu revolutionären Chancen, die digitale Tools in der Arbeit – gerade für international arbeitende NGOs – bieten. Über Bilder und Videobotschaften sind wir enger in Kontakt mit Menschen in abgelegenen Gebieten, und können so eine andere Art von Empathie und Beziehung aufbauen, direkt Feedback zu Ideen und Projekten einholen und diese gemeinsam gestalten. Diese Unmittelbarkeit hat die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg bereits stark verändert, und wird die Arbeit von internationalen Organisationen weiterhin enorm prägen.“
Daniel Jüttner
„Natürlich ist die Digitalisierung mit Chancen verbunden. Diese sind derzeit auch in aller Munde, besonders im Bereich der Umsetzung der Agenda 2030. Die Herausforderung besteht darin, auch die Schattenseiten der Digitalisierung zu thematisieren, um einen differenzierteren Blick auf das Thema zu entwickeln. Unter welchen Bedingungen werden die Rohstoffe abgebaut, die beispielsweise für Lithium-Akkus benötigt werden? Wie soll der massiv steigende Energiebedarf des Internets gedeckt werden?“
Matthias Daberstiel
„Ich sehe momentan eher Herausforderungen. Alle NPOs, auch die Großen klagen darüber, dass sie Schwierigkeiten haben mit dem digitalen Wandel Schritt zu halten. Die Größeren versuchen sich auf bestimmte Gebiete zu konzentrieren, die Kleinen, die neuen Möglichkeiten von digitalen Plattformen im Bereich Fundraising, Crowdfunding, Ehrenamt oder Kommunikation (Social Media) für sich zu nutzen. Es fehlt aber an geschultem Personal und geförderter Weiterbildung für die digitalen Themen. Besonders der Datenbankbereich droht zum Flaschenhals für die meisten Organisationen zu werden. Denn ohne datenschutzkonforme Speicherung und Nutzung von Daten entstehen hier bald Konflikte mit Spenderinnen und Spendern und anderen Stakeholdern von Organisationen.
Gleichzeitig kommen auf de NPOs immer neue Herausforderungen zu. Beispielsweise die aktuelle in der Pilotphase befindliche automatisierte digitale Meldung von eingegangenen Spenden an das deutsche Finanzamt. Das entlastet die Spenderinnen und Spender von der Einreichung der Spendenbescheinigung, bedeutet aber enorme Investitionen für die gemeinnützigen Vereine und Organisationen in Datensicherheit und in Kommunikation. In Österreich war nach der Einführung dieses Systems sogar ein Spendenrückgang zu verzeichnen. Es wird mir leider zu oft übersehen, dass digitaler Fortschritt auch etwas mit Investitionen in die Infrastruktur auch etwas mit Bildung und Kosten zu tun hat.“
Hendrik Zimmermann
„NPOs sind von der Digitalisierung in vielfacher Hinsicht betroffen. Grundsätzlich müssen wir unterscheiden zwischen der Auseinandersetzung mit unseren Themen, die alle in zunehmendem Maße von gesamtgesellschaftlichen Trend der Digitalisierung betroffen sind, auf der einen Seite, und dem Einsatz von digitalen Technologien im Rahmen unserer Arbeit auf der anderen Seite.
Für alle Themen, die Germanwatch am Herzen liegen – z.B. die Energiewende, der Ressourcenschutz oder die Agrarwende – bietet die Digitalisierung große Chancen und Risiken. Die Energiewende kann beispielsweise ohne digitale Technologien nicht gelingen. Die größten Herausforderungen beim Einsatz digitaler Technologien liegen mit Blick auf unsere Themen unserer Ansicht nach in der Marktmacht großer Konzerne, im Ressourcenbedarf der Digitalisierung sowie im Datenschutz und der Datensicherheit.
Wenn es um den Einsatz von digitalen Technologien für unsere Arbeit geht, sehen wir Chancen in einer besseren kommunikativen Vernetzung, z.B. bei der Organisation von Veranstaltungen oder wenn wir die Perspektiven von Menschen aus dem Globalen Süden direkter – z.B. über Video – in unsere vielfältigen Diskussionen einbinden können. Im Bildungsbereich tun sich weltweit vernetzte Begegnungs- und Lernmöglichkeiten sowie neue Erfahrungsräume auf. Auch kann die Transparenz bei politischen Entscheidungsprozessen vergrößert werden.
Andererseits sehen wir, dass die Digitalisierung in besorgniserregender Weise zur Erosion der Öffentlichkeit beiträgt. Sie beschleunigt (Hartmut Rosa) und singularisiert Individuen, Märkte und Gruppen (Andreas Reckwitz). Filterblasen und Social Bots seien hier als herausfordernde Beispiele genannt.
Grundsätzlich stellen wir eine zunehmende Kluft zwischen den Entwicklungen digitaler Technologien in der Industrie auf der einen und der politischen Regulierung auf der anderen Seite fest. Die Geschwindigkeit der Entwicklungen und die Komplexität der Technologien und ihrer gesellschaftlichen Wechselwirkungen führen dazu, dass die Politik mit der Industrie nur schwer Schritt hält. NPOs müssen sich dahinentwickeln, stärker dazu beizutragen, diese Kluft mit Expertise, Analyse und Advocacy-Arbeit zu schließen.“
Laura Stanischeff und Thomas Schiffelmann
„Chancen: neue Technologien bieten enorme Chancen. Angefangen mit schnelleren und unkomplizierteren Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der Organisation, aber auch nach außen. Dank Skype, Facebook, Twitter, Instagram und ähnlichen Kanälen können wir auch in Not- und Krisenregionen nahezu in Echtzeit mit unseren Hilfskräften kommunizieren.
Aber auch im (Gesundheits-)Bereich können wir unseren Patienten viel gezielter helfen und auch eine größere Menge an Menschen erreichen. Dank Technologien, wie dem 3D Druck, erreichen wir Patienten auch in abgelegenen Regionen, da wir nun mit 3D Scan Geräten leicht dorthin reisen können und die Daten über das Mobilfunknetz an einen 3D Drucker versenden. Neben einer Kostenreduktion der Hilfsmittel aus dem 3D Druck steigt auch die Passgenauigkeit der so hergestellten Hilfsmittel – am Ende können wir auf diese Weise noch mehr Menschen mit unserer Unterstützung erreichen.
An anderer Stelle arbeiten wir seit diesem Jahr mit der Hilfe von Drohnen. Im Moment forscht Handicap International an den Möglichkeiten, mit Hilfe von Drohnen minenverseuchte Gebiete wieder betretbar zu machen. Das hätte nicht nur eine enorme Verbesserung der Sicherheitslage unserer Minenräumer zur Folge, es würde auch den gesamten Prozess beschleunigen, da nicht mehr händisch jeder Quadratzentimeter abgesteckt und abgesucht werden müsste.
Risiken: gerade im medizinischen Bereich tragen Hilfsorganisationen eine große Verantwortung. Gesundheitsbezogene Daten sind besonders sensibel. Wir als Organisation tragen besondere Verantwortung, dass die Privatsphäre und die Würde besonders schutzbedürftiger Menschen stets gewahrt sind.“
2. Wo sehen Sie die größten Chancen, wo die größten Herausforderungen für Multi-Stakeholder-Partnerschaften?
Tilman Santarius
„Die verschiedenen Akteure und verschiedenen „epistemischen communities“ an einen Tisch zu bringen. Das ist in den letzten Jahrzehnten mit Entwicklungs-, Umwelt-, landwirtschafts- und friedenspolitisch interessierten Akteuren bereits sehr gut erfolgt. Nun fehlt eine engere Verbündung mit netzpolitischen, verbraucher-orientierten NGOs sowie mit der Start-Up-Szene – insbesondere jener Start-Ups, die nicht auf Profit sondern auf Gemeinwohl ausgerichtet sind.“
Peter Bednarz
„Neue Technologien und gesellschaftliche Veränderungen werden von Gruppen unterschiedlich schnell aufgenommen, unterschiedlich bewertet und werden dementsprechend in unterschiedlichen Handlungsoptionen münden. Wie in der Vergangenheit auch ist es ratsam, bestehende Partnerschaften regelmäßig zu prüfen und sich über die gemeinsame Richtung zu vergewissern. Dabei sind unterschiedliche Wege zu akzeptieren und in letzter Konsequenz Partnerschaften auch zu beenden, wenn sie nicht mehr fruchtbar sind. Ich gehe davon aus, dass insbesondere bei öffentlichkeitswirksam arbeitenden NPOs die Partnerschaften schneller wechseln, da sie eben auch im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Organisatorisch können NPOs aktive Partnerschaften nur in begrenztem Maße eingehen. Deshalb gehe ich davon aus, dass es zumindest quantitativ keine größeren Verschiebungen geben wird, auch wenn sich die Arbeit in Multiprofessionellen Teams als erfolgreich erwiesen hat.
Zu fragen ist, welche qualitativen Auswirkungen entstehen. Partnerschaften, die nicht auf den ersten Blick als wertvoll erkannt werden oder beschrieben werden dürfen (Geschäftsgeheimnis, Partnerschaft zwischen Ungleichen, Experiment usw.), könnten im Fadenkreuz der öffentlichen Kritik beendet werden, bevor sie das „Gute Ziel“ erreichen oder gar nicht erst entstehen (Selbstzensur – „mit denen reden wir nicht“). Sollte zutreffen, dass Partnerschaften schneller beendet werden, kann die Zusammenarbeit auch nicht die Tiefe einer jahrzehntewährenden Partnerschaft erreichen. Das beugt sicherlich einer gewissen Betriebsblindheit oder Verfilzung vor. Der oftmals positiv beschriebene „kurze Dienstweg“ oder „Aktion auf Zuruf“ fällt dann ebenfalls weg. Möglicherweise wird in Folge eine neue Kultur des Vertrauens untereinander entstehen.
Darüber hinaus erwarte ich, dass Einzelgänger-Organisationen (Ortsgruppen, die sich selbst genug sind oder Landesverbände, die sich zwar auf eine gute Ressourcenlage berufen können, aber keine Basis für ihre Anliegen erreichen) künftig stärker unter Druck geraten werden. Schon heute fehlen ihnen oftmals Knowhow, Reichweite, oft auch Personal und TeilnehmerInnen. Sobald sich die öffentlichen Haushalte konsolidieren müssen, wird ihnen die finanzielle Basis fehlen.“
Franz von Weizsäcker
„Technologie, das Internet und Blockchains sind global, während viele Gesetze und Initiativen nationalen Charakter haben. Betroffen vom technologischen Wandel sind nicht nur die Entwickler der Technologie, sondern oft die gesamte Gesellschaft, Wirtschaft und auch das Regierungshandeln, und das weltweit. Deshalb brauchen wir Multi-Akteurs-Partnerschaften.
Nehmen wir zum Beispiel die Internet Governance: Wir können in einem freien und offenen Internet global kommunizieren, weil seit Jahrzehnten eine gut funktionierende globale Multi-Akteurs-Partnerschaft die Regeln festlegt, bestehend aus Technischer Community, Regierungen, Zivilgesellschaft und Wirtschaftsunternehmen. In 2019 wird Deutschland zum Gastgeber des globalen Internet Governance Forums IGF.
Blockchain ist eine Dezentralisierungs-Technologie. Daher finde ich die Fragestellung interessant, wie weit wir das Internet dezentralisieren können, und in die Hände der einzelnen Bürger geben können. Ob wir zum Beispiel künftig mit Peer-to-Peer Bürgernetzen wie Freifunk das Internet im öffentlichen Raum bereitstellen und dafür per Micropayments in Kryptowährung entlohnt werden. Oder ob die großen Plattformen der Datenökonomie im Internet dezentralisiert werden können mit dApps, Data Sharing und selbst-souveränen Identitätslösungen. Hier brauchen wir die technische Expertise von Hackern und anderen Playern der Zivilgesellschaft, die Lösungsorientierung von Startups, die ökonomische und juristische Perspektive aus Wissenschaft und Think Tanks, und auch innovationsfreundliche Regulierer, die den Rahmen für solche dezentralen Modelle in Telekommunikation oder Datenökonomie schaffen.“
Katharina Spraul
„Aus Sicht der Vereinten Nationen und auch der Nachhaltigkeitsforschung wird Multi-Stakeholder-Partnerschaften in Bezug auf die Umsetzung der SDGs eine große Bedeutung beigemessen. Gemeinsam kann man mehr erreichen, insbesondere, wenn man transparente Ziele, Zielvorgaben und Indikatoren vor Augen hat! Gleichzeitig zeigt die praktische Erfahrung, dass die Effektivität von Partnerschaften von Vertrauen und geteilten Werten abhängt – eine Herausforderung in Bezug auf Digitalisierung. Doch auch den konkreten Beitrag zu den SDGs messbar zu machen oder auf andere Kontexte zu übertragen, sind große Herausforderungen.“
Matthias Lanzendörfer
„Technisch ist die Netzwerkarbeit – gerade auch mit Partnern im geographischen Süden – viel einfacher geworden und wird es sicherlich noch weiter.
> Vertrauenswürdigkeit und Transparenz im Blick behalten.“
Kathrin Wieland
„Multi-Sektor-Kooperationen bergen viel Potential, voneinander zu lernen und dadurch gemeinsame Projekte zu verbessern. Besonders interessant scheint uns die Verknüpfung des technischen Wissens der Industrie mit den sozialen Zielsetzungen der NPOs und deren Sensibilität bzgl. z.B. der digitalen Teilhabe. Herausforderungen sehen wir darin, dass NPOs und Wirtschaft oft unterschiedliche „Sprachen” sprechen – hier helfen Brückenbauer, um die Akteure in einen produktiven Austausch zu bringen.“
Daniel Jüttner
„Auch im Bereich der Digitalisierung gilt: Multi-Stakeholder-Partnerschaften, besonders mit dem Privatsektor sind ein schwieriges Thema […] Im Falle der Digitalisierung sind oft Daten die Ware. Geht man diese Partnerschaften ein, sollte man streng darauf achten, dass die Menschenrechte eingehalten sowie soziale und ökologische Mindeststandards nicht unterschritten werden und alle Akteure, auch die zivilgesellschaftlichen, auf Augenhöhe mitentscheiden können.“
Matthias Daberstiel
„Es gibt bereits positive Beispiele, wie den Nethope e.V., der durch eine Kooperation mehrerer international tätiger Organisationen Hilfsangebote von großen digitalen Anbietern wie Microsoft oder Google annehmen und nutzen kann. Auch eine gemeinsame Projektentwicklung ist so umsetzbar. Als Einzelkämpfer wäre das nicht möglich, weil das für die Firmen auch zu ineffizient/kleinteilig wäre. Generell liegt in der Kooperation gerade auf internationaler Ebene eine große Chance ressourcenschonend und effektiv zu helfen, weil die neuen digitalen Möglichkeiten auch eine bessere Koordination und Kommunikation zulassen.
Als Chance sehe ich die große Affinität zur Online-Kommunikation in Afrika, oder auch Lateinamerika. Die Smartphone-Nutzung ist dort teilweise weiter als in Deutschland (Bsp. digitale Geldbörse). Auch die Affinität von Lehrer zu digitalen Inhalten ist viel ausgeprägter. Würde es weitere Investitionen in Bandbreite und robuste Computer gerade für die afrikanischen Länder mit ihrem Klima geben, wären wir hier mit der Digitalisierung der Schulbildung bald viel weiter als in Europa! Hilfe wäre so auch von Europa aus direkt möglich und würde das Tempo und die Effizienz der Verbesserung von Bildungschancen und damit auch von Hunger- und Armutsbekämpfung dort enorm erhöhen. Projekte wie der Solarcontainer (http://www.solarcontainer.org/) zeigen, wie man dafür schon mal die Stromquellen und den Umstieg von fossiler (Diesel) in erneuerbare Energie schafft. Ganz ohne große Konzerne und überzogene Rendite-Erwartungen.“
Laura Stanischeff und Thomas Schiffelmann
„Chancen liegen eindeutig in einer leichteren und schnelleren Kommunikation mit verschiedenen Stakeholdern. Auch in entlegene Gebiete, sowie in Not- und Krisenregionen ist eine nahezu dauerhafte Kommunikation möglich.
Auch bei der Wirkungsmessung sind die Möglichkeiten der Datenerfassung und -verarbeitung extrem wichtig. Damit steigen die Transparenz und der effiziente Einsatz von Ressourcen für alle Stakeholder.
Herausforderungen liegen häufig in der unterschiedlichen Geschwindigkeit mit der verschiedene Organisationen die digitale Transformation angehen (können). Die finanziellen Mittel sowie die personellen Ressourcen zur Umsetzung sind gerade im dritten Sektor sehr heterogen. Geduld, gegenseitiges Verständnis, sowie eine offene Kommunikation sind hierbei unerlässlich.“
3. Ihr Rat für NPOs?
Tilman Santarius
„Insbesondere fehlen schlagkräftige zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die auf die ökologischen Dimensionen der Digitalisierung fokussieren. Die Frage, wie die digitale Weltgesellschaft in Zukunft aussehen wird, und wie dies den Metabolismus unserer Industriegesellschaft verändern könnte, darf nicht allein den Konzernen aus dem Silicon Valley, den Risikokapitalgeber*innen und den Start-ups überlassen werden. Und genauso wenig dürfen die Diskussionen darüber, wie die digitale Wirtschaft in Deutschland und in der EU politisch gestaltet und reguliert wird, nur vom Bundesverband für Informations-wirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) oder dem Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) dominiert werden.“
Anouk-Letizia Firle
„Verbündete zu SDG zielen zu finden und Arbeitskreise zu bilden. Gemeinsam aktiv werden.“
Matthias Lanzendörfer
„Nicht nur auf die technischen Möglichkeiten einer fortschreitenden Digitalisierung in der Arbeitswelt und in der Kommunikation der NPOs mit der Zivilgesellschaft zu achten, sondern auch den gesellschaftlichen Rahmen in den Blick zu nehmen und als zukünftiges Arbeitsfeld begreifen: Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zu den politischen und ethischen Dimensionen insbesondere Künstlicher Intelligenz.“
Kathrin Wieland
„Wir raten NPOs, Digitalisierungsthemen mit einer gesunden Mischung aus „klarer strategischer Ausrichtung”, „Lust auf Neues und Ausprobieren” und „nicht jedem digitalen Trend blind hinterlaufen” anzugehen. Zudem hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass wirklich jede NPO schon in einem gewissen Maße „digitalisiert” ist. Es geht nicht darum, eine Organisation über Nacht komplett von „analog” auf „digital” umzustellen, sondern sich zu überlegen, an welcher Stelle der Einsatz digitaler Tools einen Mehrwert schafft.“
Daniel Jüttner
„Jedes Vorhaben im Rahmen der Agenda 2030 und im Bereich der Digitalisierung sollte mit kritischem und gründlichem Blick geprüft werden. Wie ein guter Tatort-Kommissar sollte man fragen: „… und wer profitiert davon?“ Sind es wirklich die Verwundbarsten, im Sinne des „Leave no one behind“ – Ansatzes der Agenda 2030? Die Digitalisierung kann bei allen Potentialen eben auch dazu führen, dass Ungleichheiten verstärkt und zementiert werden, weil besonders ärmeren Bevölkerungsgruppen die Ressourcen fehlen daran teilzuhaben. So drohen beispielsweise besonders Frauen in ländlichen Gebieten von der digitalen Entwicklung abgehängt zu werden.“
Matthias Daberstiel
„Ich rate zu einer genauen Analyse. Nicht jedes Tool ist gleich der Heilsbringer. Vieles ist aus der digitalen Welt auch schon wieder verschwunden. Aber es gibt Trends, denen man sich nicht verschließen kann. Dazu gehört für mich das Data-Diven-Fundraising und die Data-Diven-Kommunikation. Beides verlangt einen Neuausrichtung der Kommunikation über digitale Wege und eine gute Datenbank und Datenanalyse. Die Website ist nicht mehr die Visitenkarte im Netz, sie ist die Kommunikationplattform der Organisationen. Im Internet wird der Verein oder die Stiftung gefunden und hier kommuniziert die Organisation auch mit ihren Stakeholdern. Ich empfehle dringend in die Weiterbildung von Mitarbeitern und Ehrenamtlichen zu investieren.“
Laura Stanischeff und Thomas Schiffelmann
„Die Möglichkeiten, die digitale Tools bieten sind groß. Anfänglich sind Veränderungen, sei es im Bereich der IT-Ausstattung, der Anschaffung neuer Softwares, oder auch bei der Anschaffung und Erforschung neuer Technologien im Feld bei der operativen Arbeit, mit Kosten verbunden und mit einem erhöhten Personalaufwand. Wir raten Organisationen sich davon jedoch nicht per se abschrecken zu lassen. Es lohnt sich den anfänglichen Aufwand mit dem potenziellen langfristigen Nutzen abzuwägen. Es können versteckte Potenziale in den unterschiedlichsten Bereichen (z.B. Marktanalyse- und Recherchetools, aber auch im Innovationsmanagement) freigesetzt werden.
Grundvoraussetzung für den Erfolg bei der digitalen Transformation, dass innerhalb der Organisation das allgemeine Bewusstsein und die Offenheit für neue Technologien geschärft und dass die Teams dafür begeistert werden.“
4. In welcher Art unterstützen Sie konkret NPOs bei der Erreichung der SDG?
Peter Bednarz
„Als Referent für entwicklungspolitische Bildung bei der aej NRW ist es meine Aufgabe die SDGs in den Verbandsstrukturen vorzustellen und bei Bedarf mit den KollegInnen vor Ort passende Bildungsangebote bereitzustellen. Dabei öffne ich den Zugang zu den entwicklungspolitischen Netzwerken in NRW, sowohl im zivilgesellschaften Raum als auch Richtung Politik und Wirtschaft und unterstütze bei der Akquirierung von notwendigen Ressourcen. Aktuell wird eine Studienreise „Nachhaltigkeit“ mit allen Geschäftsführenden der Ev. Jugend in Westfalen durchgeführt.
Zweitens ist die Evangelische Jugend Mitglied im Landesjugendring NRW (LJR NRW), in dem sich die landesweit tätigen Jugendverbände organisieren (Ausnahme: Ring der Politischen Jugend). Der LJR NRW unterhält eine „Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit“, die sich sowohl mit internen Themen beschäftig (Wie müssen wir unsere Aktivitäten gestalten, damit sie auf die SDGs einzahlen? Wie können wir die Qualität und die Entwicklung unserer Aktivitäten messen?) als auch nach Außen aktiv wird (Beteiligung an Veranstaltungen, insb. der Landesregierung, um die Stimme junger Menschen einzubringen bzw. Vorzustellen). Die Ereignisse um den Hambacher Forst werden in der AG analysiert und bewertet. Die Ergebnisse sollen als Handlungsempfehlungen in die verbandlichen Kontexte aufgenommen werden.
Mit dem Fokus Bildung: Der Landesjugendring beteiligt sich seit einiger Zeit an der Dialogplattform „Kommunale Bildungslandschaften“. Bildung wird Seitens des Landesjugendrings als Schlüsselqualifikation gesehen. Nur hinreichend qualifiziert und mit (Bildungs-) Ressourcen ausgestattet, können Jugendliche den Anspruch einlösen, ihre Zukunft zu gestalten und nicht passiv zu erleben. Bildung kann dabei nicht auf den Formalen Teil der Schulbildung reduziert werden. Optimalerweise gelingt es in Kommunalen Bildungslandschaften, dass lokalen Anbietern von Bildung, ihre Inhalte und Angebote miteinander in den Dialog zu bringen und für unterschiedliche Zielgruppen und Bedarfe zur Verfügung zu stellen. NutzerInnen der Angebote werden dabei in ihren Bildungsbiographien begleitet und können sich so in der Bildungslandschaft orientieren und passgenaue Angebote finden. Formaler Bildung gelingt es regelmäßig Kindern- und Jugendlichen bereits im ersten Schuljahr die Neugier und das Interesse an der Welt zu entziehen. Inhalte und Ziele von Bildung konzentrieren sich formale Aspekte und weniger an Bedarfen. Das muss dringend aufgebrochen werden, ohne die berechtigen Aspekte formaler Bildung einzuschränken.
Katharina Spraul
„Am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Sustainability Management an der Technischen Universität Kaiserslautern können unsere Master-Studierenden ein Modul „Nonprofit Management für die nachhaltigen Entwicklungsziele“ wählen. Außerdem bieten wir Service Learning Projekte an, in denen sie gemeinsam mit NPOs aus der Region an der Umsetzung der SDGs arbeiten können. Die Projektarbeit ermöglicht Lernen voneinander und anhand den SDGs, beispielsweise um freiwillige Mitarbeitende zu gewinnen oder Förderanträge und Kooperationsanbahnung der NPO auf die SDG umzustellen.“
Anouk-Letizia Firle
„Nachhaltig.digital bietet den Raum für Diskussion in der Schnittmenge Digitalisierung und Nachhaltigkeit und regt dazu an Digitalisierung als geeignetes Instrument für eine lebenswerte Zukunft zu denken und zu nutzen. Damit trägt nachhaltig.digital dazu bei das Transformationspotenzial des digitalen Wandels im Sinne der SDGs nutzbar zu machen.“
Kathrin Wieland
„Mit unserer web-basierten Software für Monitoring & Evaluation können NPOs die Wirkung ihrer Arbeit erfassen, auswerten und darstellen. Dies hilft NPOs, die Effektivität ihrer Projekte zu steigern. Die Wirkung hinsichtlich der SDGs oder übergreifender Organisationsziele kann gesondert erfasst werden.“
Nora Hauptmann
betterplace lab.
Daniel Jüttner
„Ich bin bei uns im Haus Referent für die nachhaltigen Entwicklungsziele, in meiner Tätigkeit unterstütze ich unsere Partnerorganisationen bei vielen Aspekten der Agenda 2030, indem ich beispielsweise capacity building anbiete sowie Hintergrundinformationen zu politischen Prozessen und Lobbyfenstern teile.“
Matthias Daberstiel
„Als Berater sehe ich jeden Tag Vorstände von Organisationen, die noch mit der Frage ringen, ob die Digitalisierung sie eigentlich betrifft. Hier versuche ich Mut zu machen und Wege zu beschreiben, die leistbar sind.
Als Fachjournalist und Herausgeber des Fundraiser-Magazins, ist es meine Aufgabe Trends und Ideen kritisch zu beleuchten und zu hinterfragen, aber auch gute Ideen zu verbreiten.“
Laura Stanischeff und Thomas Schiffelmann
„In Not- und Krisenregionen sowie im Entwicklungszusammenarbeitskontext in Ländern des globalen Südens arbeiten wir verstärkt mit lokalen Partnerorganisationen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, ihre Bedarfe gemeinsam mit ihnen zu analysieren und sie dann gezielt zu unterstützen, mit dem Ziel unsere Arbeit langfristig und nachhaltig an unsere Partner vor Ort zu übergeben. Je nach Kontext spielen digitale Tools und neue Technologien eine immer größer werdende Rolle. Zum Beispiel arbeiten wir in Marokko eng und partnerschaftlich sowohl mit lokalen NPOs wie auch mit den lokalen Behörden zusammen, um Kinder mit Behinderung besser im (Schul-)Alltag zu integrieren. Dabei werden neben Schulungen – auch der Eltern und Lehrer – unter anderem neue Technologien zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der lokalen Behörden verwendet, mit dem langfristigen Ziel das Projekt vollständig an lokale Kapazitäten zu übergeben.“
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